Menschen wollen vor allem eines: Anerkennung. Auf dieser Tatsache fusst die Rhetoriktechnik der respektvollen Überzeugung.
Ruhe bewahren. Die Augen kurz zu machen und viermal ganz tief ein- und ausatmen. Bewusst die Gesichtsmuskeln entspannen. Ein charmantes Lächeln ins Gesicht wischen. Aufblicken und Augenkontakt herstellen.
Die bereits 30 Minuten andauernde Diskussion im Partykeller eines Kumpels geht in die nächste Runde: «OK, Hugo. Ich höre dich, kann mir aber immer noch nicht vorstellen, dass die Erde eine Scheibe ist. Erkläre mir das bitte genauer.»
Der Name «Hugo» ist in diesem Zusammenhang frei erfunden. Die Diskussion hatte ich tatsächlich. Und ich muss gestehen, dass all mein Wissen zur Redekunst, alle die Folienwerke Rhetorik-Workshops, die ich bis dato gehalten habe, sowie meine doch recht ausgeprägte Harmoniesucht konnten mich kaum vor dem Verlust sämtlicher Fassungen schützen. Aber eben nur kaum.
Ich habe mich einer der schönsten, effektivsten und für alle Menschen gewinnbringendsten Rhetorik-Techniken besonnen und diese tatsächlich über zwei Stunden lang angewandt: die respektvolle Argumentation (im englischen Fachjargon heisst dieser Rhetorikansatz «respectful persuasion»). Was es damit genau auf sich hat, wie du diese Argumentationstechnik anwendest und warum sie in unserer heutigen Zeit so wichtig, aber immer seltener zu hören ist, das sind die Kernpunkte dieses Blogbeitrags.
Im Grunde geht es bei der respektvollen Überzeugung um das gleiche Ziel wie bei jeder anderen Argumentationstechnik auch: Du willst dein Gegenüber oder dein Publikum von deiner Meinung, deinem Standpunkt, deiner Idee überzeugen. Desto besser du in der Redekunst bewandert bist, desto leichter gelingt dir dieses Unterfangen in aller Regel auch.
Wenn wir allerdings einen Blick auf die Politik, auf viele Unternehmens-Hierarchien oder auch auf den Umgang miteinander (vor allem im Internet) werfen, dann ist hier von einem respektvollen Argumentationsansatz nur selten etwas zu erkennen. In der Politik wird viel eher auf Ausgrenzung gesetzt, Angst geschürt, Scham erzeugt. In vielen Unternehmen wird oft noch von oben nach unten diktiert, anstatt sich auf Augenhöhe zu begegnen. Und wenn ich mir die teils aufbrausende, nicht selten von Speicheltröpfchen untermauerte Faktendarlegung von Hugo vor Augen halte, dann ist das leider nur ein Beispiel unserer heute vorwiegenden zwischenmenschlichen Argumentationskultur. Anstatt auf eine respektvolle Argumentation wird viel eher auf eine respektlose Manipulation gesetzt.
Dabei geht es auch anders. Bereits im 18. Jahrhundert lehrte der berühmte Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) über den Mehrwert eines respektvollen Umgangs miteinander. Daraus leitet sich auch die Rhetoriktechnik der respektvollen Überzeugung ab. Ziel ist es, das Verhalten und/oder den Glauben seines Gegenübers zu ändern, indem man seine oder ihre Werte, Emotionen und Interessen ins Rampenlicht stellt und diese als Basis der Diskussion verwendet.
Du argumentierst nicht als Widersacher:in, sondern als Mitmensch, der Interesse zeigt. Der offen ist. Tolerant. Geduldig. Das bedeutet auf keinen Fall, dass du deine Standpunkte aufgibst, sondern dass du auch andere Gesichtspunkte in Betracht ziehst oder sie dir zumindest anhörst. Bei der respektvollen Überzeugung geht es in erster Linie darum, eine Beziehung aufzubauen und eine gemeinsame Ebene zu finden, auf der du deine Argumente aufbaust.
Um die rhetorische Technik der respektvollen Überzeugung effektiv anzuwenden, bedarf es einer guten Vorausplanung und einer flexiblen Umsetzung. Du reagierst eher, als dass du agierst.
Die wichtigste Voraussetzung, um respektvoll argumentieren zu können, ist die Fähigkeit, aus den Augen der anderen zu sehen. Versetzte dich in dein Publikum und/oder dein Gegenüber hinein. Welche Ängste bestehen? Welche Werte sind für die anderen wichtig? Erkunde die Interessen, die Glaubensrichtung, die Motivation und die Wurzeln der Überzeugung. All das ist superwichtig, um deine Argumentationsreihe auf die Bedürfnisse der anderen anzupassen.
Egal ob beim Storytelling, bei der Gestaltung von professionellen PowerPoint-Präsentationen, bei Vorträgen oder eben auch bei Argumentationen: sprich dein Publikum oder dein Gegenüber auf einem emotionalen Level an. Menschen sind von Natur aus viel eher für Argumente offen, die an ihre Emotionen appellieren. Nutze Geschichten, Anekdoten und Beispiele, die deine Punkte auf der Gefühlsebene illustrieren. Setze – ganz im Sinne der respektvollen Überzeugung – aber auf positive Emotionen. Sei nicht gegen den Krieg, sondern für den Frieden.
Ja, auch das leitet sich aus dem Namen dieser Rhetorik-Technik heraus. Es ist dennoch wichtig, diesen Punkt hervorzuheben. Wenn du jemanden oder eine Gruppe von Menschen respektvoll überzeugen möchtest, dann verhalte dich auch so. Vermeide es unbedingt, die Werte, den Glauben oder die Person/en selbst verbal anzugreifen. Das führt zu nichts. Egal, ob du auf einer runden oder flachen Erdoberfläche diskutierst. Sei höflich, nett und lass dich bei Beleidigungen nicht auf dasselbe Level hinab.
In meinem Fall war das einfach. Ich habe vor Hugo ein Feuerzeug in die Luft gehoben, es fallengelassen und ihn dann eingeladen, diesem Phänomen gemeinsam auf den Grund zu gehen. Statistiken, Studien und belegte Fakten verleihen deinen Argumenten Gewicht.
Desto eingefahrener eine Sichtweise ist, desto schwieriger lässt sich diese umlenken. Ich habe Hugo seit der Party nicht mehr gesehen, kann mir aber gut vorstellen, dass er seine Flacherden-Theorie zumindest infrage stellt. Die respektvolle Überzeugung ist kein «nach einem Mal ist alles gut-Gespräch», sondern ein rhetorischer Langstreckenlauf. Es gilt demnach, am Ball zu bleiben. Halte den Kontakt aufrecht und scheu dich nicht davor, die verschiedenen Ansichten immer wieder zu thematisieren.
Zugegeben: Ich habe während den zwei Stunden des Fachsimpelns mit Hugo die eine und die andere Pause eingelegt. Das ist ganz besonders wichtig, wenn du mit Menschen diskutierst, deren Weltanschauung so dermassen von deiner entfernt liegt wie der kugelrunde Mond von der Erdscheibe. Aber: bleib dran. Es lohnt sich.
Ich möchte hier keinen auf Moralapostel machen. Wir Menschen sind verschieden, haben unterschiedliche Sorgen, kommen aus verschiedenen Hintergründen, leben in unterschiedlichen Umständen. Das ist OK.
Was meines Erachtens nicht OK ist, das ist der Weg, den wir derzeit als Menschheit einschlagen. Klar gab es schon immer Konflikte, aber so gespalten wie heute waren wir schon sehr lange nicht mehr. Dabei haben wir die Mittel, das Wissen und die Fähigkeiten, globale Übel wie die Erderwärmung (Kugel oder Scheibe), Hungersnot, Altersarmut, Kriege usw. abzuschaffen. Das Problem ist aber, dass wir zum Grossteil nicht miteinander, sondern gegeneinander reden.
Eine Lösung stellt die Rhetoriktechnik der respektvollen Argumentation dar.
Ich nehme mir jetzt meinen eigenen Rat zu Herzen und schau mal, ob ich die Nummer von Hugo finde.
Rhetorik ist ein Fremdwort?
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